Das Fließen der Realität

Anmerkungen zu den Arbeiten von Uwe Priefert

 

Die fruchtbarste Möglichkeit, sich den Arbeiten Uwe Prieferts zu nähern, scheint mir, den Fokus auf die künstlerischen Medien zu richten, die er nutzt und thematisiert: Malerei und Fotografie.

Uwe Priefert begreift sich explizit als Maler - nicht als Fotograf. Doch seine Malerei befindet sich in der steten Auseinandersetzung mit der Fotografie. Schließlich sind es Fotos, die er in Flusslandschaften, an Teichen, in Parks und Gärten macht, die ihn zu seinen malerischen Bildideen inspirieren.

Und nicht allein die Bildfindung geht von einer Fotografie aus, sondern auch der Malprozess: Das analoge Foto wird als kleiner Papierabzug (häufig ca. 10x15 cm) auf die Leinwand aufgeklebt und mit Ölfarbe ummalt, wobei zunächst die Farbe und die Struktur des Gemalten dem Abbild auf dem Foto entsprechen („fotorealistisch“). Im weiteren Verlauf des Malprozesses wird die Gegenständlichkeit jedoch in gestische Pinselspuren aufgelöst, die sich fließend oder spritzend über die Leinwand ergießen und über den Bildraum hinaus zu reichen scheinen.

Das Abbildhafte - im Foto als integralem Bestandteil des Kunstwerks gegenwärtig und als Bezugspunkt für den Malakt wesentlich - ist in eine Abstraktion überführt worden, die in Struktur und Farbigkeit noch Erinnerungen an Naturmotive (Gras, Schilf, Wasser) erlaubt - und den Betrachtenden vor allem das visuelle Erlebnis von Fließendem, Sprießendem, Wachsendem, sich Veränderndem, Vergehendem und sich wieder selbst Erneuerndem vermittelt: Panta Rhei.

So wird die Malerei selbst zum Thema und das Fließen der Realität zum eigentlichen Inhalt der Arbeiten. Dass die floralen Motive, auf die sich Priefert bezieht, erblühen, wachsen, sprießen, verwelken und so Teil des sich selbst erneuernden Naturkreislaufs sind, verstärkt bei der Bildbetrachtung durch Assoziationsangebote harmonisch die Gesamtwirkung.

 

In den vergangenen fünfzehn Jahren hat sich in Uwe Prieferts Werk die Fotografie zunehmend von ihrer Funktion als Inspirationsquelle zur Bildfindung emanzipiert und ist selbst Bild geworden. Die gegenständlichen Motive sind dabei die gleichen geblieben, wobei zum Beispiel die Ufervegetation vornehmlich als Spiegelung im Wasser erscheint. Das fließende und vom Wind bewegte Wasser verzerrt das Spiegelbild bis zur Unkenntlichkeit. Die Konturen verschwimmen. Das Oben wird zum Unten und umgekehrt. Es gibt keinen Boden, keinen Grund, keinen Halt. Die Gegenstände zerfließen in abstrakte Formen und Strukturen. Gradation, Kontrast und Farbsättigung des Fotos werden von Uwe Priefert zudem immer wieder manipuliert: Malerei mit anderen Mitteln.

Auch hier können die Betrachtenden die visuelle Erfahrung einer Welt in ständiger Verwandlung machen - in der alles fließt, sich verändert, vergeht und erneuert, und dabei oft überwältigend schön erscheint.

 

In Uwe Prieferts neuester Werkgruppe „Tröllhár“ erinnern die Fotografien um so stärker an seine gestisch abstrahierende Malerei, da hier das Motiv des langen, dünnen Seegrases wie Pinselspuren die Bildfläche bedeckt. Das Gras fließt mit den wechselnden Strömungen des Wassers, und so entstehen im Bild unterschiedliche Strukturen geschwungener Linien, die sich zu Bahnen bündeln, wieder auflösen und in leuchtenden grünen Farbfeldern oder in Dunkelheit verschwinden. Der Bildbetrachter sieht sich erneut einer Welt gegenüber, die sich im Fluss befindet.

In der Feinstruktur erscheint jedoch eine neue Formensprache: Komplexe digitale Bildbearbeitungsstrategien nehmen dem Bild nicht nur den „Realismus“, den man gewöhnlich dem fotografischen Abbild zuspricht (ein Vorurteil, das Uwe Priefert in seinem Werk offensichtlich immer mit reflektiert), sondern auch den Charakter des „Malerischen“ - den die anderen Fotoarbeiten noch besitzen. Dieser ist nun ersetzt durch grafische Formelemente wie Linien, Konturen und umrandete Farbflächen: Foto-Grafik.

Eine konkrete Bestimmbarkeit der Gegenstände und ihre naturalistische Zeichnung lassen Uwe Prieferts Arbeiten nicht zu. Viele Partien der Bilder bleiben diffus und die ineinander verschränkten Linien und Konturen verweigern die Orientierung in einem Bildraum, dessen Tiefe ständig in die Fläche kippt.

 

Im Werk Uwe Prieferts scheint der dokumentarische Charakter eines Fotos unerheblich. Der Künstler weiß, dass keine Fotografie die tatsächliche, d.h. erlebbare Realität darzustellen vermag. Vielmehr gelingt es ihm mit seiner Fotokunst wie auch mit seiner Malerei eine wesentliche Erfahrung von Wirklichkeit anschaulich zu machen, die in der Betrachtung am realen Objekt Bild sinnlich erlebbar wird. In der reflektierenden Auseinandersetzung mit der visuellen Erfahrung kann schließlich eine Einsicht gewonnen werden:

Die Welt und das Leben in ihr befinden sich ihrem Wesen nach in beständiger Veränderung, denn „Alles fließt“.

 

Manuel Ruf

Katalog zur Ausstellung im Kunstraum "fünfzehnwochen", Düsseldorf, 2021